logo

  Mir stockt der Atem, die gecharterte zweimotorige Turbopropmaschine kurvt im Tiefflug durch die enge Schlucht. Das überladene Wasserflugzeug soll knapp oberhalb eines fast 100m hohen Wasserfalls landen.
Ich schaue aus dem Seitenfenster. Wir rasen direkt in den Wasserfall hinein, doch die Absturzkante des Falls huscht unter uns hindurch. Eine Handbreit  unter uns brodelndes, weiß schäumendes Wildwasser. Verlieren wir noch mehr an Höhe, werden die Felsen unweigerlich die Schwimmer des Flugzeugs abreißen. Ich sehe mich mit samt dem Flugzeug rückwärts den Wasserfall hinunterstürzen. Aus der Traum!!!
Sekunden später setzen wir auf ruhigem Wasser auf, nur von den Schwimmern spritzt die Gischt auf. Wir sind gelandet.

Paddler imit Faltbooten an den Virginia Falls


Nach einer langen Anreise sind wir endlich am Ziel unserer (Paddel-)Träume. Wir sind in Virginia Falls am South Nahanni, das liegt in den Northern Territories, fast am Polarkreises. 


Inspiriert von einer Expedition des Abenteurers Arved Fuchs zum South Nahanni hatten sich im Winter fünf Süderelbler zusammengefunden und beschlossen, eine eigene Expedition in die Weiten Kanadas zu wagen. Im Winter haben wir unsere Reise sorgfältig vorbereitet, Karten studiert, Permits beschafft, Buschflieger gechartert, Faltboote und Ausrüstung überprüft.  


Im September 2005 ging es endlich los. Über London, Calgary, Edmonton, Yellowknife ging es nach Fort Simpson, dem letzten Vorposten am Rande der Zivilisation. Wir nutzen den eintägigen Zwischenstop und verproviantieren uns mit allem, was für einen fast zweiwöchigen Paddeltrip durch die Wildnis erforderlich ist.


In unseren nächtlichen Träumen vor dem Weiterflug in die Wildnis müssen die Bären immer größer geworden sein; jedenfalls haben wir am Morgen bei einem Grocer noch alles aufgekauft, was zur Bärenabwehr geeignet schien. Aus Sicherheitsgründen melden wir uns bei der Nationalparkverwaltung ab.


Nach 400 km Flug über absolut unberührte Natur stehen wir nun am Ufer des South Nahanni und sehen unseren Buschflieger davonfliegen. Ein mulmiges Gefühl beschleicht uns. Sind wir der Herausforderung gewachsen? Stimmt die Ausrüstung? Haben wir genug Lebensmittel? Was machen wir, wenn ein Kamerad verunfallt? Es ist zu spät für solche Gedanken, von jetzt an gibt es nur noch einen Weg, den nach vorn.


Unsere erste Prüfung ist die Portage am Wasserfall. Jeder hat etwa 90kg Gepäck, bestehend aus Boot, Zeltausrüstung und Lebensmitteln. In drei Transporten mit 30kg auf dem Rücken wird die 2km lange Strecke mit ihren 150 Höhenmetern bewältigt. 10Km Wegstrecke kommen so zusammen, bei jedem Schritt knacken die Nähte unserer Rucksäcke, die Knie zittern vor Anstrengung. Unterwegs auf dem dschungelartigen Weg denke ich immer, wenn Dir jetzt ein Bär entgegenkommt, ist die Hose voll und der Ofen aus.

 

Paddler-Gruppe in Faltbooten auf dem Fluss


Endlich, wir legen ab. Die scharfe Strömung reißt uns mit, das leichte Wildwasser erfordert unsere volle Aufmerksamkeit, zu schwer sind unsere Boote beladen, zu empfindlich sind unsere Bootshäute. Der Fluss taucht sofort in einen tiefen Canyon ein, bedrohlich ragen die senkrechten Felswände empor. In den Rapids schießen uns die Wellen übers Deck.


Trotzdem, wir merken schnell, dieser Fluß liegt uns. Wir haben mit September die richtige Jahreszeit gewählt, der Fluß führt Niedrigwasser, auf Sandbänken sind gute Zeltmöglichkeiten zu sehen, die Wasserwucht hält sich in Grenzen. Der erste Nachtfrost hat die Moskitos dezimiert, der Indian Summer mit seiner herrlichen Laubfärbung hat eingesetzt.


Wir konzentrieren uns wieder auf den Fluß, vor uns liegt der Figure-8-Rapid. Die Flussbeschreibung lässt nichts Gutes erahnen, von Ertrunkenen ist die Rede.
Ich fasse mir ein Herz und fahre in die Stromschnelle ein. Schnell ist klar, wer hier kentert hat ein Problem, zwei riesige Kehrwasser, Strudel und Wasserpilze vor Prallwänden verhindern jedes Anland kommen. Schnell ist aber auch klar, es gibt einen gut fahrbaren Weg,  zielsicher umkurvt die ganze Gruppe die Schwierigkeiten.


Später hören wir von einer kurz nach uns gestarteten Vierer-Gruppe, aus der drei kentern, wobei einer sein Boot verliert, in der Wildnis eine lebensbedrohliche Situation. Erst durch einen via Satellitentelefon alarmierten Rettungshubschrauber der Nationalparkverwaltung kann die Situation bereinigt werden.        

 


Weiter geht es durch unberührte Natur, offenes Bergland wechselt mit tiefen Canyons ab. Immer wieder erfordern Tricky Currents unsere volle Aufmerksamkeit.
Wir passieren The Gate, Felswände steigen zu beiden Seiten viele 100m senkrecht auf, es fällt kaum Licht in die Schlucht.

 

Zelten auf einer Kiesbank im Deadmen Valley

 


Im Deadmen Valley finden wir einen Lagerplatz für die Nacht. Die Geschichte um die Namengebung des Tals, sie handelt von zwei kopflos aufgefundenen Goldgräbern und mysteriösen Eingeborenen, steigert unser Wohlgefühl nicht unbedingt. Mit einem großen Lagerfeuer werden die bösen Geister vertrieben.


Im Rapid George's Riffle durchleben wir eine Schrecksekunde. Ein Faltboot erwischt nicht den optimalen Weg durch die Stromschnelle und läuft auf einen Felsen. Wird die empfindliche Bootshaut halten? Es knackt verdächtig im Holzgerüst. Sekunden später kommt das Boot wieder frei, zum Glück ist nur eine Sente angebrochen, das Boot bleibt fahrtüchtig.


Wir tauchen wieder in einen tiefen Canyon ein und finden einen geeigneten Lagerplatz. Beim Zeltaufbau schütteln heftige Fallwinde unsere Zelte durch. Ein Zelt reist sich los und kann gerade noch eingefangen werden, bevor es in den Fluß geweht wird. Auch beim Kochen werden wir von einem Sandsturm überrascht, unser schönes Pfannengericht wird eingesandet und ist nicht mehr genießbar.   


Wir erreichen Kraus Hotsprings. Schon seit Tagen freuen wir uns auf die heißen Quellen direkt am Fluß. An mehreren Stellen sprudelt 35°C heißes Wasser aus dem Berg und sammelt sich in einem kleinen Bassin. Gibt es etwas schönerer, als nach einer Woche den gewöhnungsbedürftig riechenden Neoprenanzug auszuziehen und ein Bad zunehmen, über uns nur die Sonne, umgeben von grandioser Bergkulisse, die Hänge eingetaucht in die Farben des Indian Summer?

 

Paddler werden in den Kraus Hotsprings wieder zu Menschen


Leider können wir an diesem Platz nicht bleiben. Die Parkverwaltung hat uns gewarnt, ein Grizzlybär mit Jungem hat das Revier besetzt. Wir fahren weiter. Der Flusscharakter ändert sich, The Splits wird erreicht. Der Fluss teilt sich ab hier in immer neue Arme, ein Labyrinth von Flußläufen entsteht. Es wird zunehmend schwieriger die Orientierung zu behalten.


Nahanni Butte, die einzige Siedlung am Fluß liegt über uns auf einem kleinen hochwassergeschütztem Plateau. Im Ort leben ca. 100 First Nations, wie sich die Ureinwohner nennen. Der Ort hat keinen Straßenanschluß, die einzige Verbindung zur Außenwelt ist der Fluß, im Sommer per Boot, im Winter per LKW über das Eis. Für den Notfall gibt es eine Landepiste. 


Womit die Indianer ihren Lebensunterhalt verdienen ist nicht zu erkennen. Im kleinen, Store wollen wir unsere (Bier-)Vorräte ergänzen, was nicht gelingt: "We are a dry community" lautet die Antwort. Im Vorraum des Ladens weist ein Aushang darauf hin, sich mit seinen Schmerzen noch ein paar Tage zu gedulden: "Flying Doctor is coming at 25.Sept.".


Gott sei Dank, sind wir gesund und können weiter ziehen, wenn auch mit anhaltender Bierunterversorgung. Der South Nahanni verlässt nun endgültig die Rocky Mountains und mündet in den Liard. Nach zwei weiteren Tagen in immer noch schöner Landschaft erreichen wir Blackstone Landing, den Schlusspunkt unserer Reise. 

 

Geruhsamere Fahrt im Kajak im Liard


Bei einem Spaziergang entdecken wir im Uferbereich einen alten, von der Vegetation überwucherten Flußbagger, ausgerüstet mit Waschtrommeln zum Goldwaschen. Wieder geht die Phantasie mit uns durch. Auf dem Rückweg geht jeder für sich allein, mit gesenktem Kopf am Ufer entlang, immer in der Hoffnung, einen kindskopfgroßen Goldklumpen zu finden.    


Per Taxi geht es am nächsten Tag quer durch die Outbacks über 160km Schotterpiste zurück nach Ft. Simpson. Im Flugzeug denken wir zurück an einen herrlichen Paddelurlaub, gefährliche Rapids, spektakuläre Canyons, heiße Quellen und nicht gefundenes Gold.   


Vielleicht kommen wir wieder!


Fotos: Marc Böckel

WVS Termine und Veranstaltungen

Mo Di Mi Do Fr Sa So
2
3
4
5
7
8
10
11
12
17
18
19
20
21
22
24
25
26
27
28

 Kopie von Anleitung fr den Einstieg

 

 Kopie von Kopie von Anleitung fr den Einstieg

 

Diese Website verwendet Cookies – nähere Informationen dazu und zu Ihren Rechten als Benutzer finden Sie in unserer Datenschutzerklärung am Ende der Seite. Klicken Sie auf „Ich stimme zu“, um Cookies zu akzeptieren und direkt unsere Website besuchen zu können.